Lady Lowrider Club: Born to roll (2024)

Lange waren Lowrider Männersache, jetzt cruisen auch Frauen in getunten Autos durch Los Angeles. Weil sie Chrom und fette Bässe lieben – und ein Zeichen setzen wollen.

Von Mario Heller, Los Angeles

Veröffentlicht am

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Dieser Artikel ist Teil von ZEITam Wochenende, Ausgabe 49/2023.

"Ich wollte nicht nur auf dem Beifahrersitz sitzen. Ich wollte mein eigenes Auto, meinen eigenen Lowrider, und ich wollte selbst fahren", sagt Sandy Avila aus Los Angeles. Die 40-jährige Mutter von vier Kindern hat nicht nur ihren eigenen Lowrider gebaut, sondern auch einen der wenigen weiblichen Lowrider-Clubs gegründet. "Früher waren wir nur die Ehefrauen und Freundinnen, die Kinder für die Autoshows schick anzogen und beim Reinigen der Autos halfen", erklärt Sandy. Doch heute entscheiden sich immer mehr Frauen in der stark männlich dominierten Szene dafür, ihr eigenes Auto zu bauen und zu fahren. Diese Fahrzeuge, oft als Wracks erworben, werden in jahrelanger, detailverliebter Arbeit restauriert. Teure und seltene Ersatzteile fließen in die Kreationen ein, die letztlich die Persönlichkeiten ihrer Besitzerinnen widerspiegeln.

An den Wochenenden trifft man Sandy und ihre Mitstreiterinnen bei den zahlreichen Events in Los Angeles. Die bonbonfarbenen Autos glitzern in der Sonne, während sie gemächlich über belebte Straßen und durch die Stadtparks fahren, ihre tiefen Bässe weithin hörbar. "Wir zeigen unsere Autos, grillen und sprechen über unsere Leidenschaft", sagt sie. Wie viele andere Clubs auch engagieren sich die Lady Lowriders in der Gemeinschaft: "Wir sammeln Essen für Obdachlose und Spielzeug für Kinder. Es geht um Familie, Zusammenhalt und darum, etwas zurückzugeben."

Die Lowrider-Bewegung, die in den späten Vierzigerjahren in Los Angeles entstand, war ursprünglich ein Ausdruck von Identität und Kreativität in der mexikanisch-amerikanischen Gemeinde und entwickelte sich zu einem Symbol des Widerstands und der Selbstbehauptung. Diese Fahrzeuge, betrachtet als rollende Kunstwerke, erlebten in den Sechziger- und Siebzigerjahren durch Filme, Musik und Medien einen Popularitätsschub. Trotzdem kämpfen Lowrider bis heute gegen Stereotype und Diskriminierung. Die Entscheidung Kaliforniens, das Cruisen ab Januar 2024 zu legalisieren und Beschränkungen beim Umbau aufzuheben, ist ein Meilenstein – eine Anerkennung dieser kulturellen Ausdrucksform und ein Sieg für die Community, die seit Jahrzehnten für ihre Rechte und ihre Leidenschaft kämpft.

Tina L. Blankenship-Early, 56, Straßenreinigerin

Tina L. Blankenship-Early ist die erste Frau, die in die National Lowrider Hall of Fame aufgenommen wurde. Ihre Leidenschaft für Autos begann in der Garage des Vaters ihres besten Freundes in Los Angeles. "Ich hatte immer einen Traum von einem Lowrider, aufgewachsen in Watts, umgeben von diesen beeindruckenden Autos." Ihr berühmtester Wagen, der 1966er "Game Killa" Caprice, war einst nur ein leeres Chassis, das sie gemeinsam mit ihrem Mann restaurierte. "Als ich fast fertig war, sagte ein Clubmitglied: 'Man, your car is killing the game. You should call it Game Killa!' Das Auto tauchte schon in vielen Musikvideos auf und feierte einen großen Auftritt im Film Straight Outta Compton. Für Tina sind Lowrider mehr als nur Fahrzeuge: "Das Design, die Form des Körpers: Für mich sind Lowrider ein Kunstwerk."

Monique, 41, Senior Training Officer

"Lowrider sind mein Leben", sagt Monique. Sie wurde direkt in die Szene hineingeboren, war schon als Baby jedes Wochenende bei Lowrider-Treffen. "Bei uns sind alle Verwandten und alle Generationen involviert. Wir können den ganzen Tag in unseren Autos rumfahren – und wenn wir nach Hause kommen, trotzdem noch über Lowrider reden." Ihren Wagen hat sie kürzlich voller Stolz ihrem 18-jährigen Sohn vermacht, der diesen mit großer Begeisterung fährt. "Es ist wichtig, dass wir diese Tradition unseren Kindern weitergeben." Das bedeutet auch, dass Frauen akzeptiert werden müssen: "In unserer Familie gab es nur Mädchen. Ohne uns würde eine Generation von Lowridern fehlen." Monique ist froh, dass Cruisen endlich legalisiert wird, aber für sie ist es trotzdem noch ein weiter Weg: "Modifizierte Autos sind offiziell nach wie vor illegal. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen uns und der Polizei wird also weitergehen."

Crystal Dominguez, Laborassistentin

Bereits als Kind stöberte Crystal stundenlang in Lowrider-Magazinen, die ihre zwei älteren Brüder rumliegen ließen. Später hatten die Brüder eigene Lowrider. "Das inspirierte mich", sagt sie. Als vor zwei Jahren einer ihrer Brüder an einer Heroin-Überdosis starb, fasste Crystal den Entschluss, ihren eigenen Wagen zu bauen – als Erinnerung, als Tribut an ihren verstorbenen Bruder. "Seither ist mein Lowrider eine Art von Therapie. Wenn ich damit rumfahre, bin ich überglücklich und vergesse alles um mich herum. Ich liebe es, mit anderen Frauen über Autos zu reden." Momentan befindet sich Crystal beim Lowrider-Club noch in der Probezeit. "Sechs Monate lang muss ich den anderen Frauen gegenüber mein Commitment beweisen." Das Hobby kostet viel Zeit und Geld, aber für sie ist es jeden Cent wert. "Lowriding ist ein Lifestyle, den man einfach lieben muss"

Mary Lopez, 45, arbeitet beim Abschleppdienst

"Mein Auto hat die Farbe Pink – als Symbol gegen Krebs", erzählt Mary, die vor zehn Jahren die Diagnose Nierenkrebs bekam und eine Niere entfernen lassen musste. "Ich bin eine Kämpferin." Die Mutter von sieben Kindern ist seit 30 Jahren verheiratet mit einem Mexikaner, der schon als Teenager in der Lowrider-Szene war. Irgendwann schenkte er ihr einen völlig verwahrlosten 63er Chevrolet Impala, das Auto, welches sie schon immer haben wollte. "Mein verstorbener Großvater fuhr diesen Wagen und ich war immer begeistert davon." Vier Jahre lange restaurierte sie das Auto mithilfe unzähliger Mechaniker. Chrom, Farbe, die Polster: "Es ist ein teures Hobby, aber ich liebe es, nachts einfach rumzucruisen, meine Musik zu hören. Ich fühle mich frei."

Sandy Avila, 40, Managerin im Familien-Unternehmen

Als Sandy anfing, mit ihrem Mann in seinem Lowrider zu Events zu begleiten, wurde ihr schnell bewusst, dass sie mehr wollte, als nur auf dem Beifahrersitz zu sitzen. Nachdem sie sich ihr eigenes Auto zulegte, war sie zunächst besorgt über die Reaktionen in der Szene: "Werden sie mich lieben? Werden sie mich hassen? Werden sie sagen, ich soll mich verpissen?" Die Resonanz war überwiegend positiv. Die Mutter von vier Kindern wollte mehr – am besten einen Safe Space speziell für Frauen in der Lowrider-Community. Im Jahr 2021 gründete sie den Lady Lowrider Club. "Für viele Männer war es bis vor Kurzem noch sehr schwer, uns Frauen zu akzeptieren. Sie erwarteten, dass alle Autos den Männern gehören." Der Club, der mittlerweile 17 Frauen zählt, ist für Sandy mehr als nur eine Gruppe von Autoliebhaberinnen; er ist ein Statement für Gleichberechtigung: "Wir sind wie Schwestern, vereint in unserer Leidenschaft und dem Streben nach weniger Diskriminierung."

Jennifer Paulino, 47, Repossession Agent

"Sie war eine Katastrophe, sehr hässlich und gelb lackiert", erinnert sich Jennifer Paulini an den Zustand ihres 1972 Chevrolet Chevelle, als sie den Wagen zum ersten Mal sah. Mit viel Hingabe restaurierte sie das Auto. Heute ist es für sie etwas vom Wichtigsten im Leben: "Erst kommt meine Familie, dann direkt mein Auto." Für Jennifer ist ihr Lowrider eine Form des persönlichen Ausdrucks. "Ich wollte auf keinen Fall einen Wagen, den jeder hat." Während viele in der Lowrider-Szene nach Auszeichnungen und Pokalen streben, sind es für Jennifer die alltäglichen Reaktionen auf ihr Auto. "Mich macht es unglaublich glücklich, Komplimente für meinen Wagen zu bekommen."

Letty Garcia, 52, Service and Sales Coordinator

Letty bekam ihr erstes Auto mit 17 Jahren von ihrer Mutter geschenkt. "Wir zogen uns schick an und fuhren zum Cruisen nach Hollywood. Das war einfach Teil unserer Kultur." Überall waren andere Autos und Freunde, die den Hollywood-Boulevard entlangfuhren und Musik aufdrehten. "Hinter dem Steuer zu sitzen, mit Freunden dabei, das gab einem ein besonderes Gefühl von Stolz – egal, wie das Auto aussah. Man putzte es heraus und es fühlte sich einfach richtig gut an." Jetzt, Jahre später, mit erwachsenen Kindern, findet sie dieses Gefühl im Lady Lowrider Club wieder, dem sie seit ungefähr eineinhalb Jahren angehört. "Ich liebe es, mit den anderen Frauen abzuhängen und neue Leute zu treffen, die dieselbe Leidenschaft teilen. In unserer Community sind alle Hautfarben und Altersgruppen vertreten, und es ist wunderschön zu sehen, wie wir alle den Stolz auf unsere Autos gemeinsam erleben."

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Author: Lilliana Bartoletti

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